Hatschepsut-Tempel Theben-West

Oh, Nirvana!

© Erschienen in MERIAN Ägypten

Kairo – Es ist die Frage aller Fragen überhaupt. Noch wichtiger als zu wissen, ob du Moslem bist oder Christ. Es ist die Lebensfrage schlechthin. Fast jeder Ägypter fragt dich das. Und Nirvana fragte mich, aber damals wußte ich noch nicht, dass sie Nirvana hieß – und was die Frage bedeuten kann.

Sie studierte Wirtschaftswissenschaften, stand kurz vor dem Abschluß, jobbte nebenbei als Rezeptionistin in einem Hotel in Heliopolis. Ich suchte Freunde aus Deutschland, die dort abgestiegen wa-ren, bat, mich mit deren Zimmer zu verbinden. Durch einen Vor-hang schwarzer Haarsträhnen musterten mich schwarze Kulleraugen, das heißt, sie tasteten meine Hände nach einem Verlobungs- oder Ehering ab. Dann fiel jene Frage aller Fragen: anta metgawez, bist du verheiratet? Die Stimme fragte das in einem Ton des Interesses, der weit über die ägyptische Neugier hinausging. Mein Herz bebte heftig. Ein ungestümes Flattern im Bauch verlangte ein Rendezvous mit Nirvana. Ich gehorchte dem Flattern, und der unerhebliche Vorwand war schnell gefunden. Flüsternd antwortete sie: „Gerne, you’re welcome.“

Ich weiß nicht mehr genau, wann es war. Einige Zeit später sprachen wir über Heirat, bis dahin nicht gerade mein Lieblingsthema. Wir waren uns einig, und somit verlangte ein Prophetenwort rasches Handeln und das Gespräch mit den Eltern: „Drei Dinge sollen nicht aufgeschoben werden. Das Gebet, wenn die Zeit dafür gekommen ist., die Beerdigung, wenn der Leichnam gekommen ist, und die Heirat einer Frau, wenn ein gleichgestellter Mann den Antrag machte.“ Nun war ich Heiratskandidat.

In Ägypten Kandidat auf Freiersfüßen zu sein, kann schwieriger sein als ein juristische Staatsexamen, bei etwa gleich hoher Durchfallerquote. Unverzichtbare Voraussetzung für den Mann sind standesgemäßer Beruf und eine eigene Wohnung, guter Leumund der Familie. Über Nach-barn und Profi-Späher werden detektivisch Erkundigungen eingezogen. Kandidaten aus Familien von Selbstmördern, Depressiven, Avantgardisten, Querdenkern, Betrügern, Alkoholikern, Taugenichtsen sind chancenlos. Zu der Zeit war ich gerade nichts von all dem. „Viele“, schrieb Nagib Mahfuz, „gelten am Ende nur wegen ihrer robusten Gesundheit als rechtschaffen“. Diese Mindestvoraussetzung erfüllte ich auf alle Fälle.

Im Wirtschaftskrisenland Ägypten liegt das Heiratsalter der Männer bei weit über 30, während eine unverheiratete 25jährige schon als schwerst vermittelbar gilt. Die Ehe ist, so sehen es Ägyptens Väter, in erster Linie eine soziale Versorgungsanstalt. Die Liebe komme wie der Appetit beim Essen. Töchter haben zu heiraten, wen der Vater vorschlage. Oft scheiterten Heiratspläne, weil der Kandidat den mahr, das gewünschte Brautgeld nicht bezahlen kann: laut Koran eine symbolische Lebensversicherung für die Frau, heute ein astronomisch hoher Geldbetrag für Möbel, oft eine Ablösesumme zur Sanierung der Brautfamilie. Stolz verkünden Bräute ihren erzielten Marktwert, in wohlhabenden Kreisen 30000 Mark und mehr.

Nirvanas Stimme klang nach verschluckten Tränen, als sie anrief. „Mein Vater wird nicht mir dir reden, weil du halb hier, halb in Deutschland lebst, ich Ägypten verlassen würde. Außerdem will er, dass ich den Sohn seines besten Freundes heirate. Er zahlt 25000 Mark für mich.“ Das macht, so rechnete ich zur Ablenkung und nur für mich, einen Kilopreis von 500 Mark.

Nirvanas Familie war nun der Feind, und dort herrschte Krieg. Nirvana sprach kein Wort mehr mit ihrem Vater, teilte ihrer Front-Mutter mit, zu heiraten, wenn sie wolle. Ist das zu verantworten? Heiratet sie gegen den Willen der Familie, wird sie verstoßen, für immer. Gnadenlos. Mein Bruder Tamir befand: „Nirvana ist ein Blume. Aber muss man eine Blume aus dem Mülleimer nehmen?“ Kleine Brüder verstehen einfach nichts vom Leben, oder doch?

Schließlich willigte Nirvanas Mutter ein, mich hinter den Rücken des Vaters zu empfangen, aber nur, wenn nicht über Heirat geredet werde. Ich käme als ein Freund ihrer Tochter, nichts sonst. Mit dem obligatorischen Süßigkeiten-Paket aus der Sheraton-Patisserie machte ich artig meine Aufwartung. Smalltalk mit der Mutter, kurze Blicke zu Nirvana. Ich saß in einem Ohrensessel, fühle mich wie auf einer Präsentiertellermine, hielt mich am Teeglas fest. Die Mutter sprach, mit ihren 120 Kilo stets leicht keuchend. „Du heißt Michel. Das ist kein Name aus dem Koran.“ Ich war präpariert, verstand den Wink auf meine zweifelhaft moslemische Abkunft.. „Naja, Michael ist neben Gabriel einer der Engel, an die Moslems glauben müssen, Sure 2, Vers 98“. Dann fiel mir ein Apropos ein, mit dem ich die Mine zum Detonieren brachte. „Übrigens, Nirvana steht auch nicht im Koran, oder?“ Es war der erste Satz zu meiner schnellen Verabschiedung.

Nirvana kämpfte trotz meiner Idiotie weiter, bis die Mutter vor Aufregung mit überhöhtem Blutzucker auf der Intensivstation lag. Ums kurz zu machen: Mit einem Kreislaufkollaps, verursacht durch die penetrant weiterverfolgten Heiratspläne ihrer Nichte, löste kurz darauf Nirvanas Lieblingstante die Mutter in der Klinik ab. Nur der Vater brüllte noch, drohte, seine Tochter in die Klinik einweisen zu lassen, bis sie diese Flausen vergesse. Eher bringe er sie, dann sich selbst um undsoweiter.

Nirvana weinte, als sie anrief. „Mein Vater hatte einen Herzinfarkt, es geht ihm nicht gut. Unser Hausarzt sagte: ‚Es gibt nur eine Medizin. Heirate den Mann, den dein Vater für dich ausgesucht hat.“

Danach hörte ich lange nichts von Nirvana. Stunden wurden zu Tagen, Tage zu Wochen. Zu den verabredeten Zeiten, immer spät nachts, war die Leitung belegt, wenn ich bei Nirvana anrief. Irgendwann, ich weiß nicht wie viele Tage später, meldete sie sich: „Ich kann das meiner Familie nicht antun, sei mir nicht böse.“

Ich sah Nirvana nie mehr, weiß nur, dass sie nun in Kairo promoviert. Das dauert drei Jahre. Solange sie studiert, verlangt niemand von ihr zu heiraten. Vater, Mutter, Tante sind wunderbar schnell genesen.

Allen geht’s gut.


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