Haifa

Nicht ohne meine Reporter

© Erschienen im SZ-Magazin

Eine Frau wie Betty Mahmoody. Mutig, tapfer und bereit, alles zu riskieren, um die Tochter aus den Fängen eines moslemischen Vaters, des geschiedenen Mannes, zu befreien. Deutschland bangte mit Tanja Werner (Name für diese Onlineveröffentlichung geändert), die die Medienaufbereitung ihrer Geschichte nach Kräften vorangetrieben hatte.

Das Rennen um die Schlagzeile gewann Bild und durfte auf Seite eins titeln: „So holte ich meine Tochter raus“. RTL hievte kürzlich eine Exklusiv-Reportage ins Programm: „Ich hol‘ meine Tochter zurück“. Bei Gottschalk saß Frau Werner auf dem Sofa, talkte dazwischen weltumspannend auf der Deutschen Welle.

Die volle Wahrheit über die „Kindsentführung des Jahres“ behielt die Deutschlehrerin aber exklusiv für sich. Doch der Reihe nach.

1979 heiratete Tanja Werner ihren Studienfreund Mohamed, heute Fernsehregisseur in Kairo. In einem Betreuungskreis für ausländische Studenten hatte die Frau aus einer schwäbischen Kleinstadt den Ägypter kennengelernt. „Es war eine Liebesheirat“, sagen beide noch heute.

1983, auch das erfuhren Zeitungsleser und Fernsehzuschauer, wurde Nadia (Name geändert) geboren. Und 1985 zog Mohamed wegen einer Dozentenstelle für Film- und Fernsehdramaturgie nach Saudi-Arabien – ohne Frau, ohne Nadia. „Als er zurückkam“, schilderte Tanja Werner dem Bild-Reporter, „war er total verändert. Fanatisch. Kompromisslos. Er flippte aus, weil Nadia zum katholischen Gottesdienst ging. Er schrie, sie müsse als Moslem erzogen werden“. 1989 wurde die Ehe geschieden. Mohamed, zurück in Saudi-Arabien, will erst dort von seiner Scheidung erfahren haben.

Tanja Werner heiratete wieder, einen geschiedenen katholischen Religionslehrer mit drei Kindern. Mohamed behielt für Nadia das Besuchsrecht. Wenn Freunde, die Einblick in das Familienleben hatten, Recht haben, dann begannen Tanja Werner und Mohamed auf dem Rücken Nadias einen kleinen Religionskrieg auszutragen. Die Mutter, heißt es, habe die Tochter mit der Bibel traktiert, und der Vater habe dem Kind bei seinen Besuchen den Koran einzutrichtern versucht. Alles natürlich zum Wohle des Kindes.

Im vergangenen Sommer passierte dann, was jährlich rund 200mal nach Scheidungen von Ausländerehen geschieht. Ein Elternteil verschleppt das Kind. In diesem Fall war es Mohamed, der die kleine Nadia nach Kairo – ja was? „Entführte“, sagt die Mutter. „Mitnahm, wie es mein Recht ist“, sagt der Vater.

Tanja Werner  flog auf eigene Faust nach Ägypten, bekam Nadia dort aber nicht einmal zu Gesicht. Zurück in Deutschland engagierte sie in ihrer Verzweiflung eine private Detektei, die für knapp 60 000 Mark einen riskanten Entführungsplan ausheckte. Drei Detektive, Tanja Werner, zwei Verwandte und ein RTL-Filmteam reisten nach Kairo, spähten den Tagesablauf von Nadia aus und holten das sich anfangs arg sträubende Kind über Israel zurück nach Deutschland. Der Trick: Mutter Werner war mit gefälschtem Pass nach Ägypten eingereist, hatte einen neunjährigen Jungen, der gar nicht dabei war, in dem Dokument eingetragen. Als Junge verkleidet reiste Nadia dann auch aus.

So weit ist die Geschichte bekannt. Nicht ohne meine Tochter, böser, Besitz ergreifender Moslemvater – es sind viele Schlagworte und Klischees, die jedem durch den Kopf gingen, der diese Geschichte hörte.

Tanja „Mahmoody“ Werner publizierte Story sollte ausdrücklich Müttern in ähnlicher Situation Mut machen, genauso zu handeln. Hinfahren, Kind mitnehmen, fertig. Zu den bisher verschwiegenen, eher marginalen Fakten gehört, dass die beiden Verwandten an der ägyptisch-israelischen Grenze verhaftet und über Wochen in Kairo unter Hausarrest gestellt worden waren, ehe sie die Deutsche Botschaft freibekam. Die Schuld daran geben die Verwandten der pannenreichen und fernsehgerechten Entführungsshow, die der Detektiv inszeniert hatte.

Dutzendweise hat sich die Kairoer Botschaft jedes Jahr mit Kindsentführungen nach gescheiterten deutsch-moslemischen Ehen zu beschäftigen, Tendenz stark steigend. Immer wenn es nach einer Scheidung um das Sorgerecht für die Kinder gehe, sagt einer der Botschaftsreferenten, werde sichtbar, daß deutsche und islamische Rechtsordnung im Familienbereich nicht zusammenpassen. „So wenig islamisches Recht in Deutschland gilt, so wenig gelten deutsche Sorgerechtsurteile in moslemischen Ländern. Der große Teil der gemischt kulturellen Ehen geht ja auch gut. Wir klären alle heiratswilligen Paare, meist sind die Frauen Deutsche, über die möglichen Probleme auf. Aber Liebe macht nun mal blind.“

Tanja Werner schwieg über ihre eigene Blindheit, verkaufte eine Abenteuergeschichte. Mut machend und lehrreicher wäre die ganze Wahrheit gewesen, zu der sie auf Befragen nichts sagen will. Sie hat einen Exklusivvertrag mit dem RTL-Team unterzeichnet.

Am 4. August 1982, drei Jahre nach ihrer Heirat, verabredete sich Tanja Werner mit einem Scheich in der Kairoer Al-Azhar-Universitätsmoschee, höchste Instanz in Islamfragen.

In einer offiziellen Urkunde, die dem SZ-Magazin vorliegt, heißt es über diese Begegnung: „Tanja Werner, früher christlichen evangelischen Glaubens ist heute vor uns erschienen und erklärte den Wunsch, Muslima zu werden. Nach Prüfung der Ernsthaftigkeit und nachdem wir sie über die Grundsätze, die Rechte und Pflichten der islamischen Religion informiert haben, erklärte sie…’daß ich jeden anderen Glauben verlassen habe’… und sie hat sich den Namen Aisha… gewählt.“

Nadia, 1984, also zwei Jahre nach der Konvertierung ihrer Mutter geboren, wurde damit, und so steht’s auch in der ägyptischen Geburtsurkunde, als Tochter zweier Muslime geboren.

Zudem exisitert ein weiteres verheimlichtes, dem SZ-Magazin ebenfalls vorliegendes Dokument: Der Ehevertrag zwischen Tanaj Werner und Mohamed, „verhandelt zu Berlin… vor dem unterzeichneten Notar Karlheinz S.“

Die Kernsätze lauten: „Wir beabsichtigen, miteinander die ständige Ehe im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen des Heimatstaates des Erschienenen Mohamed zu schließen. Wenn aus der Ehe Kinder hervorgehen, so hat im Falle der Auflösung der Ehe die Erschienene Tanja Werner weiterhin das Sorgerecht für die Kinder… Die Dauer des Sorgerechtes richtet sich im übrigen nach dem ägyptischen Recht.“ Tanja Werner hat dies unterzeichnet, wie gesagt in einem deutschen Ehevertrag.

Die ägyptischen Gesetze legen für Scheidungskinder fest: Söhne bleiben bis zum neunten, Töchter bis zum elften Lebensjahr bei der Mutter. Danach hat der Vater das Recht, die Kinder zu sich zu holen.

Nadia wird im Oktober elf Jahre.


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